Obstgehölze schneiden 1,2 und 3 – die Theorie in Frage und Antwort

Oft gehört: die erste Frage verunsicherter Gartenbesitzer im Winter: „Müssten die Obstbäume nicht beschnitten werden?“

Fakt ist: im Erwerbsobstbau werden Obstbäume regelmäßig, d.h. jährlich, geschnittenDort natürlich vor allem, um eine bestimmte marktfähige Fruchtqualität zu erzielen, aber auch damit Pflege und Ernte rationell möglich sind. Ästhetik spielt in der Produktion nur eine untergeordnete Rolle.

Aber was würde passieeren, wenn man die Bäume gänzlich unbeschnitten lassen würde?

Ein wilder oder unbeschnittener Apfelbaum entwickelt sich zu einem regelrechten Biotop für nützliche und schädliche Arten. Mit Arten können gemeint sein: Moose, Flechten, Pflanzen (Mispel!), Schmetterlinge und Käfer (das sind dann eher die Schädlinge), Vögel (Wiedehopf!) und Säugetiere (Siebenschläfer!).

Ohne Rückschnitt wird ein Apfelbaum mit den Jahren so dicht, dass man kaum mehr hindurch schauen kann. Äste brechen unter der Last der Früchte herunter und Löcher entstehen im Stamm. So ein Streuobstbaum ist ökologisch sehr sinnvoll und in der Landschaft schön azuschauen. Im Garten wollen die wenigsten Menschen so einen wilden Baum.

Wie soll der Baum denn dann beschnitten werden?

Ein Gartenazubi lernt in seiner Ausbildung: ein Obstbaum sollte so beschnitten werden, dass man einen Hut zwischen den Zweigen hindurch werfen kann. Das bedeutet, es muss viel Luft zwischen dem Astwerk sein.

Wozu dieser starke Rückschnitt?

Dazu ein kleiner Exkurs in die Welt des Weins:

Im deutschen Weinbau vollzog sich in den Neunzigerjahren eine Wende. Man änderte die Schnittmethode hin zu mehr Qualität. Das geht so: die gepflegte Ertragsweinrebe besteht aus einem alten, dick verknorzten Stock, aus dem jedes Jahr neue, schlanke, junge Triebe hervorspriessen, welche dann später auch die Trauben tragen. Weinreben werden jedes Jahr im Winter kräftig zurück geschnitten um den Austrieb junger Ruten zu fördern, die im folgenden Sommer blühen und fruchten können. Denn das alte Holz kann das nicht.

Die Winzer, die eher Massenweine keltern, lassen bei ihrem winterlichen Rebschnitt zwei Ruten mit ca. 50-75 cm Länge stehen. Jene Weingärtner die auf hohe Qualität hinaus wollen, belassen dagegen nur eine einzige Rute am Stock. Diese erzeugt am Ende natürlich wesentlich weniger Blüten und somit weniger Ertrag, dafür aber eine bessere Mostqualität und somit besseren Wein.

Hieraus kann man drei Regeln ableiten:

  • starker Rückschnitt fördert starkes neues Wachstum
  • starker Rückschnitt fördert die Qualität des Ernteertrags, verringert aber dessen Menge
  • bei Pflanzen, die am einjährigen Trieb blühen (Wein, Rosen, Schmetterlingsstrauch usw.) kann man sehr stark ins alte Holz zurückschneiden, um junge blühfähige Triebe zu fördern (Obstbäume dagegen blühen am mehrjährigen Holz und müssen daher etwas vorsichtiger geschnitten werden. Aber auch bei ihnen gilt: weniger Blüten=weniger Früchte=bessere Qualität)

Hinzu kommt, dass gezüchtete Obstgehölze wesentlich schwerere Früchte tragen, als das entsprechende Wildobst. Ein ungeschnittener Kulturbaum kann unter seiner Fruchtlast zusammenbrechen. Früher war es deshalb auf dem Land üblich, dass man die Äste im Sommer mit Stangen abgestützt hat, um das Abbrechen zu verhindern.

Sieht so ein gestutzter Baum noch schön aus?

Im Garten ist es tatsächlich so, dass eine Pflanze oft mehr den ästhetischen Ansprüchen genügen muss. Wenn wir uns ein teures Spalierobstbäumchen kaufen und mit Mühe einpflanzen, dann soll es gefälligst auch seine hübsche symetrische Form behalten. Im Garten wird man dadurch zu einer Art Bildhauer am Baum. Das heißt, es muss alles weg, was nicht nach 1a Musterbaum aussieht. Dabei ist Schnitt nur eine Möglichkeit von vielen. Man kann fehlgeleitete Zweige auch zurecht biegen und mit Bambusstäben und Kunststoffbindern fixieren. So werden ja auch Pflanzen in der Baumschule erzogen.

Wie mach ich das, dass der Baum schön geschnitten aussieht?

In jedem Fall bedarf es einer gewissen eigenen Vorstellung davon, wie der zu bearbeitende Baum sich weiter entwickeln sollte. Diese Vorstellung sollte auch berücksichtigen, was der Baum von Natur aus kann und was nicht. Dazu braucht es Wissen, Erfahrung und etwas Übung. Alles Dinge, die man sich aneignen kann. Oft ist sich der Gartenneuling zu unsicher, den ersten Schnitt zu wagen. Dann könnte es eine gute Alternative sein, sich die Sache einmal von einem Fachmann zeigen zu lassen oder ein Kurs bei der Volkshochschule zu belegen. Auch im Internet existieren Obstbaumschnittanleitungen. Dort werden aber schon einige Fachkenntnisse vorausgesetzt.

Grundsätzlich sollte der ideal geschnittene Baum nach dem Schnitt eine dreieckige Form haben (Pyramidenform), deren Spitze nach oben zeigt. Und wie gesagt, ein Hut sollte zwischen den Ästen hindurch passen.

Wie schneide ich Säulenobst?

Säulenobst ist ganz leicht zu schneiden. Hier kann man sich die einfache Regel merken, dass jeder Ast, der dicker als ein Daumen ist, direkt am Stamm abgeschnitten wird (so erhält man die Säulenform). Mein Tipp: aus Säulenobstbäumen kann man auch auf kleiner Fläche eine tolle Obsthecke mit ganz verschiedenen Fruchtbäumen anpflanzen. Nur gut besonnt sollte die Hecke sein.

Schneidet man Äpfel und Kirschen gleich?

Der Gartenbesitzer sollte wissen, welche Art von Obst er vor sich hat. Grundsätzlich unterteilt man Kern- und Steinobst.

Kernobstarten sind Apfel, Birne, Quitte und einige Exoten wie Nashi, Mispel und Apfelbeere.

Zum Steinobst gehören Kirschen, Pflaumen, Reneclauden und Zwetschgen, Mirabellen, Aprikose, Pfirsich und Mandel.

Für das Steinobst empfiehlt sich eher der Sommerschnitt und man sollte etwas Mühe auf die Desinfektion der Schnittwerkzeuge verwenden. Im Sommer verringert sich die Gefahr von Infektionen und die Wunden heilen schneller, weil der Stoffwechsel der Pflanze aktiv ist.

Steinobst ist schwieriger zu bearbeiten. Kirschen haben oft einen sparrigen und ausladenden Kronenaufbau. So dass der Rückschnitt hier vor allem die Krone klein und die Früchte erreichbar halten soll.

Kernobst ist allgemein etwas unempfindlicher gegen Infektionen und die Wunden heilen besser. Hier ist der Winterschnitt überhaupt kein Problem.

Ich habe gehört man unterscheidet Wasserschosse und Lang- bzw. Kurztriebe?

An Obstbäumen können Lang- und Kurztriebe klar voneinander unterschieden werden.

Langtriebe sind neu gebildete Zweige, die im nächsten Jahr meistens nur Blätter bilden werden. Die Blattknospen sind kleiner und weiter voneinander entfernt. Solche Triebe werden in der Regel auf zwei bis drei Augen eingekürzt, um eine Bildung von blühwilligem Holz anzuregen. Was dann aber erst im Folgejahr geschieht. D.h. der Schnitt ist immer auf längere Zeitintervalle ausgerichtet. Wichtig ist, zu schauen, dass die letzte stehen bleibende Knospe vor der geplanten Schnittstelle in die Richtung zeigt, in die sich ich die Pflanze weiter entwickeln kann. Dadurch kann ich steuern wohin die Pflanze wachsen soll – z.B. weg vom Nachbarn, weg vom Haus, hin zum Licht usw. Das ist dann wieder die Sache mit der Vorstellung.

Langtriebe, die an ganz unmöglichen Stellen (direkt am Stamm/ins Pflanzeninnere hinein/über Kreuz etc.) wachsen, nennt man Wasserschosse. Wasserschosse schneidet man möglichst gänzlich ab.

Kurztriebe kann man identifizieren, indem man sich merkt oder ins Gedächtnis ruft wo die Blüten und die Früchte waren. Im Winter sitzen dort dickere Knospen an kurzen Zweigen ganz eng beieinander. Sie werden im kommenden Frühjahr zu Blüten. Deshalb sollte man vorsichtig mit Ihnen umgehen. Trotzdem kann es nötig werden auch Kurztriebe zu reduzieren. Denn bei älteren Bäumen kehrt sich das Verhältnis zwischen Lang- und Kurztrieben oft um. Sprich: beim Jungbaum bilden sich mehr Langtriebe – er will ja noch wachsen und beim Altbaum spielt das Geschlechtliche eine größere Rolle – er will sich vermehren und bildet Kurztriebe. Die Folge: es sind zuviele Früchte am älteren Baum. Dann müssen Kurztriebe weg.

Mein Obstbaum trägt in einem Jahr sehr viel und im nächsten wenig. Kann man das beeinflussen?

Diesen Fruchtrhythmus nennt man Alternanz. Damit wird im Obstbau, die natürliche Schwankung des Ertrags im Zweijahresrhythmus bezeichnet. Nach ertragsstarken Jahren folgen meist ertragsschwache usw. Hier kann man durch Reduktion oder Förderung der Kurztriebe gegensteuern. Also nach guten Erträgen nur wenige Kurztriebe wegnehmen und Langtriebe stehen lassen (evtl. die Langtriebe nach unten biegen und fixieren um die Blütenbildung für das übernächste Jahr zu induzieren).

Nach schlechen Erträgen mehr Kurztriebe wegnehmen und Langtriebe einkürzen (damit im übernächsten Jahr dort Blütenknospen gebildet werden).

Was mache ich, wenn der Obstbaum zu groß wird?

Das ist letztlich eine Frage der Veredelung. Für den normalen mitteleuropäischen Hausgarten sollte man schon beim Pflanzenkauf auf schwachwachsend veredelte Bäume zurück greifen, die als Busch, Spindel (Säule) oder Spalier angeboten werden.

Ein radikaler Rückschnitt bei einem stark wachsenden Baum ist immer ein extremer Eingriff, der Schaden anrichten kann. Deshalb finde ich es besser, sehr starke Schnittmaßnahmen über mehrere Jahre zu verteilen.

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